Arbeitskampf im Allgemeinen und Streik im Besonderen
sind Mittel der tarifpolitischen Auseinandersetzung. Die Begriffe Tarifpartner-schaft und Arbeitskampf markieren die Pole zwischen denen Tarifverhandlun-gen stattfinden. Obwohl die Tarifparteien – Gewerkschaften auf der einen und Arbeitgeber auf der anderen Seite – mitunter gegensätzliche Ziele verfolgen, bezeichnen sie sich als Partner. Der dbb nimmt dieses gewachsene Prinzip der tarifpartnerschaftlichen Verhandlungsführung sehr ernst. Und dies aus gutem Grund: Wir führen Tarifverhandlungen stets konsensorientiert. Gleichzeitig sind Streit- und Streikbereitschaft unerlässlich zur Durchsetzung tarifpolitischer Forderungen. Kommt es zu einem Arbeitskampf, sind jedoch rechtliche Aspekte zu beachten.
Diese Kurzinfo soll dazu dienen, den Beschäftigten die wichtigsten Fragen vor und während eines Arbeitskampfes zu beantworten. Entgegen landläufiger Auffassungen und Befürchtungen ist ein Streik ein durchaus geordnetes und geregeltes Verfahren. Er folgt festen Spielregeln und ist in der freiheitlichen Grundordnung der Bundesrepublik als Teil der Koalitionsfreiheit der Arbeit- nehmer unbedingt vorgesehen.
Tarifverhandlungen sind nichts anderes als die konsequente Vertretung von Arbeitnehmerinteressen. Dies geht nicht ohne die Möglichkeit einer letzten Konsequenz. Fehlte das Recht auf Streik, wären Arbeitnehmerinteressen nicht wirksam zu vertreten. Fehlt jedoch die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, für ihre eigenen Interessen einzutreten, gilt dasselbe. Um dem Einzelnen mögliche Ängste auf dem Weg vom Arbeitsplatz zum Streikzelt zu nehmen, hat der dbb im Folgenden zwölf Kernpunkte zum Thema Streik zusammengefasst.
1) Kann ich wegen der Teilnahme am Arbeitskampf gekündigt werden?
Bei einem rechtmäßigen Arbeitskampf handeln die Arbeitnehmer, die deshalb die Arbeit niederlegen, nicht arbeitsvertragswidrig. Die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag ruhen
während der Dauer der Beteiligung an Arbeitskampfmaßnahmen. Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer wegen der Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik nicht abmahnen oder gar kündigen.
2) Erhalte ich mein Entgelt weiter?
Der Arbeitnehmer, der an einem Arbeitskampf teilnimmt und deswegen seine Arbeitsleistung einstellt, hat für diese Zeit keinen Anspruch auf Entgelt. Dies gilt auch für (nicht gewerkschaftlich organisierte) Arbeitswillige, die infolge der Arbeitskampfmaßnahme in ihrem Betrieb nicht beschäftigt werden können. Während einer rechtmäßigen Dienststellenschließung / Aussperrung durch den Arbeitgeber muss ebenfalls kein Entgelt an die davon Betroffenen gezahlt werden. Die Gewerkschaften zahlen Ihren Mitgliedern als Ausgleich Streikgeld.
3) Darf mein Arbeitgeber verlangen, die ausgefallene Arbeitszeit nachzuholen?
Der Arbeitgeber hat keinen Anspruch auf Nachholung von Arbeitsstunden, die wegen eines Arbeitskampfes ausgefallen sind. Dies folgt schon daraus, dass der Arbeitgeber für die Zeit einer rechtmäßigen Arbeitskampfmaßnahme auch kein Entgelt an den / die Streikenden zahlen muss.
4) Bin ich weiter krankenversichert?
ln der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt die Mitgliedschaft Versicher-ungspflichtiger während eines rechtmäßigen Arbeitskampfes bestehen (§ 192 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Dauert der rechtmäßige Streik mehr als einen Monat und erhält der Beschäftigte deshalb mehr als einen Monat kein Entgelt, so wird er mit „Meldegrund 35 bei der gesetzlichen Krankenkasse abgemeldet. Dies ist jedoch nur der Hinweis an die Krankenkasse, dass zwar keine Beiträge mehr an sie abgeführt werden, die Mitgliedschaft jedoch wegen rechtmäßigem Streik fortbesteht.
Die Mitgliedschaft von in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig Versicherten, die versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind, wird durch den Wegfall des Entgelts infolge eines Arbeitskampfes ebenfalls nicht berührt. Die Ausführungen gelten entsprechend für den Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Mutterschutzgesetz (MuSchG) und für die gesetzliche Pflegeversicherung. Bei Arbeitnehmern, die in einer privaten Krankenversicherung versichert sind, läuft die Versicherung unabhängig von der Teilnahme an einem Arbeitskampf weiter. Der Beschäftigte trägt als Versicherungsnehmer aber unter Umständen die volle Last des Versicherungsbeitrags, wenn gegenüber dem Arbeitgeber durch die Arbeitskampfteilnahme kein Entgeltanspruch besteht.
5) Verringert sich mein Urlaubsanspruch?
Durch eine Streikteilnahme verringert sich der Jahresurlaubsanspruch nicht. Für den (vollen) Jahresurlaubsanspruch ist notwendig, dass das Arbeitsverhältnis auch für das laufende Jahr besteht bzw. bestanden hat. Bei einer Streikteilnahme besteht das Arbeitsverhältnis weiter, lediglich die gegenseitigen Ansprüche und Pflichten ruhen.
6) Was sind Notdienstarbeiten?
Notdienstarbeiten sind alle Arbeiten, die zum Schutz und zur Erhaltung der Betriebseinrichtungen sowie für das Allgemeinwohl zwingend notwendig sind. Sie dienen nicht zur Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten arbeitswilliger Beschäftigter oder zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes. Welche Arbeiten Notdienstarbeiten sind, kann nicht allgemeinverbindlich festgelegt werden. Dies muss einzelfallabhängig vor Ort entschieden werden (z. B. durch eine Notdienstvereinbarung).
7) Ist Streikgeld steuerpflichtig?
Die Mitgliedsgewerkschaften des dbb zahlen ihren Mitgliedern, die an einem (Warn-) Streik teilnehmen, Streikgeld. Es besteht keine Steuerpflicht für erhaltene Streikunterstützung. Streikgeld ist auch nicht sozialversicherungspflichtig.
8) Ergeben sich Auswirkungen auf die Sonderzahlung und die vermögenswirksamen Leistungen?
Vermögenswirksame Leistungen werden nur gezahlt, wenn im Bezugsmonat für wenigstens einen Tag Arbeitsentgelt zusteht. Die jährliche Sonderzahlung errechnet sich aus dem Durchschnittsentgelt der Monate Juli, August und September. Hat ein Beschäftigter in diesen Monaten wegen Teilnahme an einem Arbeitskampf nicht an jedem Tag Entgelt erhalten, so bleiben diese Tage bei der Durchschnittsberechnung unberücksichtigt. Eine Verringerung der Jahressonderzahlung tritt dadurch nicht ein. Steht infolge des Arbeitskampfes für einen vollen Kalendermonat kein Entgelt zu, so verringert sich die Jahressonderzahlung um ein Zwölftel. Befindet sich der Beschäftigte am 1. Dezember in einem Arbeitskampf, hat er trotzdem Anspruch auf die Jahressonderzahlung. Für den Anspruch auf Jahressonderzahlung ist nur das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung, nicht auch die Entgeltzahlung.
9) Was geschieht mit Ansprüchen aus der Unfallversicherung?
Bei der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen besteht kein Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung. Zu den versicherten Tätigkeiten gehören hingegen Notdienstarbeiten. Private Unfallversicherungen laufen im Regelfall weiter.
10) Was geschieht mit der Rentenversicherung?
Sobald der Streik die Dauer eines Kalendermonats übersteigt, entstehen rentenversicherungsrechtliche Nachteile. Während der Dauer eines Arbeitskampfes ist für die Rentenversicherung von einem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Jedoch werden Beitragszeiten für den Beschäftigten mangels Entgeltzahlung durch den Arbeitgeber nicht begründet. Gewerkschaftlich geführte Streiks sowie Aussperrungen sind also genannte Überbrückungszeiten anzusehen, die bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 SGB VI den Anschluss an das versicherungs-pflichtige Beschäftigungsverhältnis im Hinblick auf die Erfüllung der Wartezeit als Voraussetzung für den Rentenbezug wahren. Da die Höhe der Zahlungen an die Rentenversicherungsträger prozentual vom erhaltenen Entgelt abhängt, werden bei einem Arbeitskampf entsprechend weniger Zahlungen an die Rentenversicherung geleistet.
11) Muss ich das Zeiterfassungsgerät vor Beginn und nach Beendigung des Streiks betätigen?
Streikende müssen sich auch bei auf einige Stunden beschränkten Arbeits-kampfmaßnahmen grundsätzlich nicht am Zeiterfassungsgerät „ausstempeln“. Gestreikt wird immer während der Arbeitszeit. Wer sich ausstempelt befindet sich jedoch in Freizeit. Es reicht, wenn sich der Streikende mündlich bei seinem Dienstvorgesetzten „zum Streik“ abmeldet. Die Arbeitgeberseite hat dies-bezüglich in den meisten Fällen eine andere Rechtsauffassung und bejaht ausdrücklich die Pflicht jedes Beschäftigten, sich vor Beginn und nach Ende eines Arbeitskampfs aus- bzw. einzustempeln. In der Vergangenheit ist es von Arbeitgeberseite häufiger zur Androhung von Abmahnungen für Arbeitnehmer gekommen, die sich nicht aus- bzw. einstempeln. Die unterschiedlichen Rechts-auffassungen stehen sich seit Jahren gegenüber, ohne dass es eine höchst-richterliche Entscheidung gibt, die sich ausdrücklich mit dieser Frage befasst.
12) Dürfen sich Beamte an Arbeitskampfmaßnahmen beteiligen?
Beamte haben kein Arbeitskampfrecht und damit erst recht kein Streikrecht. Die Treuepflicht des Beamten gegenüber dem Arbeitgeber und dem Staat schließt den Streik aus (vgl. Art. 33 GG). An Demonstrationen dürfen sich Beamte in ihrer Freizeit selbstverständlich beteiligen.